Magazine, German, Glue Binding, 280 Pages, 2008
Texte zur Kunst - Heft 70 (Juni 2008)
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Diese Ausgabe ist Stefan Germer gewidmet, dem im Jahre 1998, also vor 10 Jahren, verstorbenen Mitbegründer und -herausgeber dieser Zeitschrift. Sie stellt eine Hommage an Stefan Germer dar, ohne deshalb eine Ausgabe über ihn zu sein.
Diese Ausgabe ist Stefan Germer gewidmet, dem im Jahre 1998, also vor 10 Jahren, verstorbenen Mitbegründer und -herausgeber dieser Zeitschrift. Sie stellt eine Hommage an Stefan Germer dar, ohne deshalb eine Ausgabe über ihn zu sein. Wenn wir sie mit „Schreiben für Stefan Germer“ betitelt haben, dann möchten wir dies vor allem im Sinne einer Produktion von Textbeiträgen verstanden wissen, die sein spezifisches textuelles und methodisches Verfahren aufgreifen. Dies soll jedoch nicht ohne die Adressierung jener veränderten Rahmenbedingungen geschehen, mit denen sich der über Kunst Schreibende heute konfrontiert sieht. Eine solche Verschränkung von kunsttheoretischem Schreiben mit seinen institutionellen sowie ökonomischen Gegebenheiten wäre, so hoffen wir, ganz in Stefan Germers Sinne gewesen.Aus unserer Sicht zeichnete es die Texte von Stefan Germer in erster Linie aus, dass sie stets beides waren – theoriebildend und Komplexität für eine zu führende Debatte reduzierend, gesellschaftstheoretisch ambitioniert und thesenhaft zugespitzt, akademischen Ansprüchen und journalistischen Kriterien genügend. Geradezu idealtypisch schien sich das Erbe der kritischen Theorie und neuerer Strömungen mit der subjektiven Stimme des „New Journalism“ in ihnen zu verbinden. Inzwischen lässt sich jedoch der Befund erheben, dass sich diese Kompetenzen weitgehend voneinander abgespalten haben und in ihre jeweiligen Herkunftsdisziplinen (Academia vs. Publizistik) abgewandert sind. Nur noch selten trifft man sie im Verbund an. Bei Dissertationen etwa kommt es weniger darauf an, dass sie gut geschrieben sind – gut geschrieben im Sinne von zugänglich und mitreißend. Entscheidend ist vielmehr, dass sie eine bestimmte Begrifflichkeit aufweisen, die nicht selten in einen Theoriejargon umschlägt, der weder seine Begriffe noch seine Voraussetzungen klärt. Die Spielarten des kunstkritischen Schreibens, die man auf der anderen Seite – in einem gänzlich boulevardisierten Feuilleton – vorfindet, kranken umgekehrt an der vollständigen Abwesenheit jeglicher Theoriebildung. Wo eine Art Theoretizismus in großen Teilen des akademischen Schreibens Einzug gehalten hat, geben sich flotte, junge Kunstjournalisten heute ausgesprochen theoriefeindlich. Zu dieser fragwürdigen Alternative konnte es aus unterschiedlichen Gründen kommen – finanzieller Druck auf die Autor/innen und die neue Autorität der Celebrity Culture im Zeitschriftenwesen trugen ebenso dazu bei wie das veränderte Anforderungsprofil des Akademikers, der in Fachzeitschriften publizieren und Anträge schreiben muss, statt sich etwa um die Lesbarkeit oder gar Unterhaltsamkeit seiner Texte auch für ein außerakademisches Publikum zu sorgen. Den Gründen für diese Entwicklung genauer nachzugehen war ein Ziel dieser Ausgabe (siehe z. B. der Text von Ulrich Gutmair). Ein anderes bestand darin, zum einen an die methodischen Prämissen von Stefan Germer produktiv anzuknüpfen (vgl. hierzu die Texte von Peter Geimer, Tom Holert und Joseph Imorde) und zum anderen neuerlich über die Aufgabe der Kritik zu reflektieren (siehe die Beiträge von Dietmar Dath und Martin Saar) sowie neue Formate des reflexiven Schreibens über Kunst zu erproben (siehe die Beiträge von Douglas Crimp und Chris Kraus).Mit Texten wie „Unter Geiern. Kontext-Kunst im Kontext“ hat Stefan Germer auch regelmäßig die Prämissen und Bedingungen jener ortsspezifischen und institutionskritischen künstlerischen Praktiken in Frage gestellt, als deren Unterstützer nicht nur er selbst, sondern auch diese Zeitschrift angetreten war – und als die sie sich, nebenbei bemerkt, immer noch programmatisch versteht. Es gehörte zum kritischen Ethos redaktioneller Arbeit, dass gerade das Favorisierte einer kritischen Revision bedurfte – eine Tradition, die wir in dieser Ausgabe fortsetzen möchten (siehe die Beiträge zu Michael Asher und Yvonne Rainer). In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren galt es tatsächlich als eine Selbstverständlichkeit, dass man sich unter Freund/innen kritisierte und auf Probleme in der jeweiligen kulturellen Produktion hinwies. Man war es der Freundschaft und dem Wohlwollen für die Arbeit des anderen gewissermaßen schuldig, dass man sich gegenseitig hart rannahm, wenn es denn sein musste. Dieses Modell einer so loyalen wie schonungslosen Kritik gehört jedoch heute eher der Vergangenheit an. Auch hierfür sind die Gründe vielfältig und mit biografisch bedingten Rückzugstendenzen ebenso in Verbindung zu bringen wie mit einer damit einhergehenden Scheu vor unmittelbaren Auseinandersetzungen. Zudem ist die Kunstwelt heute weniger agonal verfasst: Damals standen sich die Pole „Kontextkunst“ und „neoexpressive Malerei“ noch relativ unversöhnlich gegenüber. Die Geschichte des künstlerischen Feldes war, frei nach Bourdieu, eine Geschichte der Kämpfe. Statt durch klare Fronten, gegnerische Lager und eindeutig benennbare Gegner strukturiert zu sein, ist das künstlerische Feld heute jedoch in eine Vielzahl von Segmenten zerfallen – unzählige Mikrouniversen, die nebeneinander her existieren und kaum Berührungspunkte miteinander aufweisen, dennoch aber temporäre Allianzen eingehen (müssen). Dies ist auch Ausdruck jenes Kooperationsimperativs, der in einer vernetzten globalen Kunstwelt herrscht und der Luc Boltanski und Ève Chiapello zufolge ohnehin charakteristisch für den neuen Geist des Kapitalismus ist. Wenn Kontakte zu einer Art Guthaben aufsteigen und ökonomische Zwänge noch vormalige Gegner zur Kooperation nötigen, dann wird man sich mit deutlicher Kritik in jedem Fall zurückhalten. Das Risiko, es sich mit jemandem zu verderben, ist einfach zu hoch.Uns ist nicht daran gelegen, Stefan rückblickend zu einem Helden des konfrontativen Schreibens zu verklären. Wie wir alle konnte er ausgesprochen diplomatisch sein und taktisch agieren. Doch mit Texten wie denen über Gerhard Richters Familienbilder oder dem über das Kunst- und Modeverhältnis in den Bildern von Wolfgang Tillmans machte er es sich zur Pflicht, auf die diesen Produktionen inhärenten Probleme hinzuweisen, selbst wenn er damit jedes Mal das Risiko einging, es sich mit einer Fraktion des Kunstbetriebs (vorübergehend) zu verderben. Diese problemorientierte Form des kunstkritischen Schreibens, die für einen Moment gegen den Kooperationsimperativ verstößt, möchten wir mit dieser Ausgabe wiederbeleben und auch in den folgenden Ausgaben weiterverfolgen – und dies nicht zuletzt im Gedenken an ihn.Seit März 2006 macht Texte zur Kunst nun schon sämtliche Beiträge zum Hauptteil durch eine englischsprachige Sektion auch einer nichtdeutschsprachigen Leser/innenschaft zugänglich. Wie schon in vorangegangenen Ausgaben werden zudem ursprünglich auf Englisch verfasste Rezensionen nicht nur auf deutsch abgedruckt, sondern finden sich ebenfalls in der „English Section“. (Editorial) Sprache: Deutsch/Englisch